Erik Spiekermann | "Wenn man es nicht lesen kann, ist es scheiße."

Shownotes

Seit Jahrzehnten übersetzt Kommunikationsdesigner und Schriftgestalter Erik Spiekermann Content in visuelle Formen – so beschreibt der Mitgründer von MetaDesign und Gründer der Agentur EdenSpiekermann seine Arbeit. Er hat mit Erfolg namhaften Unternehmen wie den Berliner Verkehrsbetrieben, The Economist oder Mercedes-Benz zu Neuauftritten verholfen. Verständlichkeit ist dabei für ihn das höchste Gebot, haptische Arbeit das Mittel seiner Wahl.

Was Schrift leisten kann, wieso nicht lesbare Schrift schlecht und das Design von Google zynisch ist – über diese und weitere Aspekte spricht Erik Spiekermann mit Moderator Jörg Thadeusz in der 5. Folge des ndion-Podcast.

In der Podcastreihe für Design, Marke und Innovation lädt der Rat für Formgebung branchenübergreifend Experten ein, über die aktuellen Herausforderungen in der Tranformation zu diskutieren. Wir befragen außergewöhnliche Menschen zu aktuellen Themen, ungelösten Fragen und den besten Lösungen.

Transkript anzeigen

00:00:00: Musik.

00:00:09: Wenn Sie mit der BVG durch Berlin fahren, wenn Sie am Düsseldorfer Flughafen sind, wenn Sie die Wirtschaftszeitung The Economist in die Hände bekommen -

00:00:15: Schrift oder sogar die gesamte Gestaltung sind von dem Mann, der vor 72 Jahren in Stadthagen bei Hannover zur Welt kam und schon als Junge regelrecht besessen vom Zeichnen war.

00:00:25: Musik.

00:00:34: Der Rat für Formgebung präsentiert den ndion Podcast mit Jörg Thadeusz und Erik Spiekermann.

00:00:43: Mit Erik Spiekermann spreche ich darüber, was Design kann, was Design zuallererst leisten muss, warum eine Schrift, die nicht lesbar ist,

00:00:51: eben keine gute Schrift ist, kein gutes Design ist. Wir reden über seine großen Erfolge, die Erfolge, die er hatte beispielsweise beim Live-System der BVG, die Erfolge, die er hatte als er den Economist gestaltet hat, warum er sich eine eigene Schrift

00:01:04: ausgedacht hat und warum andere Leute, die einfach noch nicht soweit waren, damit erstmal nichts anfangen konnten, ihm damit aber letztlich zu einem noch größeren

00:01:13: Erfolg verholfen haben. Ich rede mit Erik Spiekermann auch darüber, warum es ein Segen ist, warum es für junge Leute geradezu eine Erlösung ist, tatsächlich wieder

00:01:21: anzufassen, womit sie arbeiten, ein Ergebnis zu sehen, was sich nicht einfach mit dreimal wischen, sondern tatsächlich echter Mühe erst

00:01:28: erreichen lässt. Darüber rede ich mit dem Grafik-Designer, Kommunikationsdesigner Erik Spiekermann. In der FAZ

00:01:37: hat er im vergangenen Jahr die deutlichen Worte mit der eckigen scheiße für die Schrift auf den Trikots der deutschen Fussballnationalmannschaft gefunden. Sie sind, Herr Spiekermann, damit aus der Zeit gefallen, kann ich Ihnen sagen, weil

00:01:48: der adidas Sprecher Oliver Brüggen zu diesen unleserliche Namensschriftzügen, an die wir uns alle erinnern, gesagt hat "Die Typographie ist sehr modern und dem Fußball bisher wenig präsent, die Schrift fällt auf und wird so emotional diskutiert wie das Design eines jeden neuen Trikots an sich."

00:02:03: Also hat er, wenn ich mir das vorstelle Design soll doch

00:02:08: muss doch neu sein und muss doch Thema sein und muss doch besprochen werden, dann haben die doch alles richtig gemacht. - Nee, also erstens muss es nicht neu sein, es muss passend sein.

00:02:18: Und der ästhetische wie nennt man das Mehrwert, der ist sicherlich wichtig, also was dazu tun zu der normalen Information, die dann von 1 bis 22 geht, auf den Nummern und den Namen von was weiß ich wie die Jungs alle hießen. Das muss man erstmal leisten.

00:02:30: Dann muss man vielleicht noch ein wenig dafür sorgen, dass adidas da nicht zu kurz kommt, dass es nach adidas irgendwie aussieht und dann vielleicht noch den ästhetischen Mehrwert, der in diesem Falle,

00:02:39: wo die Weltmeisterschaft stattfindet. Die haben sich damit raus geredet, ja das wären irgendwelche russischen Konstruktivisten. Also das Allerschlimmste ist dabei, wenn man so eine Scheiße produziert

00:02:47: und dann versucht, das mit so einem Marketing-Mehrwert zu belegen.

00:02:51: Was ich nicht verstehe ist, wie kann das passieren? Weil eigentlich ist das doch so, ich wäre jetzt meinetwegen, also abgesehen davon, ich wäre ja wahrscheinlich nicht alleine zuständig, mir sowas auszudenken, sondern mit mehreren. Und dann geh ich doch bei so einem Weltunternehmen wie adidas, dann geht das doch durch,

00:03:05: war womöglich noch eine Agentur, dann geht das ja Stufe für Stufe durch, Sie kennen das alles aus dem ff.

00:03:12: Warum hält das dann keiner auf? - Die Intelligenz wird ja wie die Luft nach oben eher dünner.

00:03:17: Das ist ja nicht so, als wenn die Leute oben jetzt alles wissen, im Gegenteil die wissen ja nichts, weil sie von unten nichts dazukriegen.

00:03:23: Ob das jetzt bei Volkswagen ist oder irgendwo, die Chefs oben sind relativ schlecht informiert, weil man ihn unten alles vorenthält.

00:03:29: Umgekehrt ja genauso, die haben ja diese Schichten. adidas ist nicht ganz so groß, aber ich denke schon, dass da irgendwas, was einer verursacht hat, dann das nach oben geliefert. Um das abzuliefern hat er sich dann so einen Überbau ausgedacht.

00:03:42: Russische Konstruktivisten, Hubschrauberflug über Moskau 1928, eckige Gebäude und diesen ganzen Quatsch, Schwachsinn. Da hat einer irgendwas gemacht, der das noch nie gemacht hat, der noch nie eine Schrift entworfen hat.

00:03:52: Das war gräuslich und das hat man aber auf diese Art eingetütet und dann hat jemand diesen Spruch geglaubt. Die gucken ja nicht hin, die glauben diese Sprüche. Das ist ja sowieso auch emblematisch für unsere Welt, dass man

00:04:01: dieses ganze Gewäsch glaubt und einfach nicht hinguckt. Man kann ja hingucken, sieht, das kann man nicht lesen, also ist es scheiße.

00:04:09: Es ist so einfach. Wenn man einen Namen auf dem Trikot nicht lesen kann, hat es die erste Aufgabe schon mal nicht erfüllt. - Obwohl ich würde mich das jetzt nicht trauen, als jemand, der außerhalb der Designwelt eigentlich steht, wenn jetzt jemand kommt und ich da weiß, der hat das studiert und er macht das, der macht das sogar für ein große Unternehmen

00:04:28: und der sagt mir dann, "die Typographie ist ja modern und bisher wenig präsent und löst Emotionen aus", dann wäre ich vielleicht auch in der Versuchung zu sagen,

00:04:36: ich bin ja auch nur so ein Flachschädel, der es halt nicht lesen kann. Aber Sie sagen, nee nee, wenn man es nicht lesen kann, dann hat es die erste Aufgabe nicht erfüllt. Warum haben die denn die Dinger auf dem Rücken, Trikot hinten?

00:04:46: Doch nicht als Kunst! Dann könnte man wirklich Kunst machen, also von mir aus Kandinsky hinten drauf malen, ist auch in Ordnung. Das wäre noch cool gewesen. Aber man soll ja die Jungs erkennen, die teilweise auch großen, langen Namen. Also wenn das das erste

00:04:58: Phänomen ist, was was zutage tritt, dann muss man das ablehnen, es hat einfach nicht funktioniert.

00:05:03: Jetzt kommen wir mal zuerst, zu Ihrer Geschichte, wenn das wahr ist,

00:05:08: das weiß man ja immer nicht so ganz genau - Sie haben auch schon mal gesagt, ich bin nicht sicher, ob ich nicht jetzt im Nachhinein meine Vergangenheit rationalisiere. Es stimmt aber, dass Sie ganz viel gezeichnet haben, schon als Junge. Und dann, die Legende sagt,

00:05:24: Sie hätten in einem Eiscafe gesessen, hätten sich die Karte angeguckt und hätten gesagt "Aha" ... - Stimmt, das war ein Erweckungserlebnis, so nennt man das.

00:05:33: Ich war ja, ich bin ja in einem kleinbürgerlichen Haushalt aufgewachsen, mein Vater war Lastwagenfahrer, gelernter Schlosser, und dann später in Bonn als Chauffeur unterwegs, also nichts Tolles, meine Mutter war Postangestellte.

00:05:45: Und die Umgebung waren so ziemlich schreckliche Tapeten und hässliche Möbel, mein Vater hatte wirklich keinen Geschmack, was meine Mutter immer bemängelt hat. - Und sie durfte das nicht mit aussuchen? - Das weiß ich nicht, also mein Vater war da komisch.

00:05:55: Aber darüber wollen wir nicht reden, also jedenfalls... - Nur ganz kurz, weil es so interessant ist, das heißt

00:06:01: Ihnen ist als Junge schon aufgefallen, wir wohnen in hässlichen Möbeln, weil das wäre mir nicht... - Ja, ich kannte ja  andere, wir hatten auch kein Geld, aber ich war, also erstmal hat mein Vater noch drauf bestanden, dass alles bar bezahlt wurde.

00:06:12: Also meine Mutter hätte gerne den Wohnzimmerschrank ein Jahr vorher gehabt, aber mein Vater hat gespart, bis er ihn bezahlen konnte, das war damals so in den 50er-Jahren.

00:06:19: Ich weiß also, wenn ich im Vergleich mit anderen Kindern, denen es besser ging, dass es da moderner aussah. Ich war ja von der Welt nicht abgeschottet, ich wusste schon was

00:06:27: 1961 bei Braun passiert oder sowas, weil ich interessiert war.

00:06:31: Und dann war ich zu Hause, mit so einer Tapete mit seinem Zigeuner Ziehbrunnen, das war alles ziemlich eklig, das habe ich schon gemerkt.

00:06:38: Aber das war halt zu Hause, und zu Hause ist wiederum gut. Und auch das Essen, was meine Mutter gekocht hat, würde ich heute auch nicht mehr so ohne weiteres zu mir nehmen, aber es war halt meine Mutter.

00:06:46: Die hat mir später auch erzählt, dass sie kochen gehasst hat, das hat man auch gemerkt. Aber als Kind weiß man das ja nicht, wir sind ja nie aus Essen gegangen, ich hatte ja keine Vergleichsmöglichkeiten. Ich bin ja groß und stark geworden wie man sieht, also hat es funktioniert. Nein, aber ich war in diesem im Café Campi in der Hohen Straße in Köln,

00:07:00: wer in Köln war kennt Campi, der hat später die alte Oper gemacht. - Ein Italiener. - Der ist mit seinen Eltern in den 40er-Jahren nach Deutschland ausgewandert,

00:07:10: hat natürlich eine Eisdiele aufgemacht, war in den 40ern. Das will ich nicht hinterfragen. Gigi ist leider inzwischen gestorben, das war die große, der Italiener an sich.

00:07:19: Und ich war noch nie in einem Eiscafé, bei uns in Stadthagen gab es eins.

00:07:22: Das hieß glaube ich auch Cortina, die hießen ja irgendwie alle Cortina oder Cortina d'Ampezzo. Und da gabs einen kleinen schwarz-weißen Fernseher, deswegen war man da, aber das Eis konnten wir uns nicht leisten.

00:07:30: Haben wir immer zu siebt an einem Eis geleckt, für einen Groschen.

00:07:32: Das ist Legende! Klingt doch gut, oder?

00:07:47: Es ist zwar nicht wahr, aber gut erfunden. Darum gehts doch bei Geschichten, oder? Es sind doch nicht alle Geschichten wahr. Also bei Campi saß ich da, das ist so ein zweistöckiges Eiscafé, das war schon sehr 50er-Jahre mit Messinggeländer  und so

00:08:01: und diesen Tütenlampen, glaube ich.

00:08:04: Aber auf dem Tisch stand eine gedruckte Speisekarte. Ich weiß heute, dass es Lang-DIN war, also 10,5 breit und 19,7 hoch, weiß ich heute, damals wusste ich das nicht.

00:08:13: Zwei- oder dreimal gefalzt, irgendwie auch kaschiert also glänzend, und da war, das war nicht wie bei uns, in anderen Restaurants gab es immer diese

00:08:20: in so einer Folie und dann so mit der Schreibmaschine geschrieben, dann in so eine Folie und dann in so einen speckigen Kunstlederordner eingepackt - so waren die normalerweise, 2 Mark 50.

00:08:28: Und da war es gedruckt, und es war aus der Schrift, die ich aus dem Twin kannte,

00:08:32: heute weiß ich, dass das die fette Headline war, also eine große schmale, eine richtige Schrift, also nicht Schreibmaschine. Und die Abbildungen waren gut, und das ganze Ding hatte eine Qualität, und das Eis kam in so in

00:08:45: Metallkelchen eigentlich, und die Kellnerinnen hatten ein weißes Häubchen, und das war - das war wie im Kino. Das kannte ich eigentlich nur so aus,

00:08:51: ja so aus deutschen Urlaubsfilmen. Das war alles gestaltet, das ganze Ding war von vorn bis hinten gestaltet.

00:08:57: Und das hatte ich noch nie erlebt, da hab ich gedacht "oh scheiße, man kann das auch so machen, man muss nicht in so einem Müll leben und alles irgendwie hingeschmissen kriegen." Man kann auch das Einnehmen von Eiscreme

00:09:08: als ästhetisches Erlebnis gestalten. Das hat nachhaltigen Eindruck hinterlassen. - Und wussten Sie denn schon zu dem Zeitpunkt, ich meine das ist jetzt

00:09:13: eine Transferleistung, man sieht eine tolle Karte in einem Eiscafe, man befindet sich in einer Umgebung, die einem gefällt, die und man merkt "oh, so was ist möglich", wussten Sie denn dann schon, wie man daraus einen Beruf macht? Sie sind dann erst mal nach Berlin gegangen... - Natürlich nicht. Ich hatte keine Ahnung davon, ich wollte Journalist werden.

00:09:29: Wenn es geklappt hätte, würde ich jetzt da sitzen, wo Sie jetzt sitzen.

00:09:33: In Berlin stand im Tagesspiegel immer die Abitur, die Berufswünsche der Abiturienten und da steht bei mir

00:09:47: (...) da stand Berufswunsch Journalist.

00:09:52: Und ich hatte mich schon erkundigt, es gab in Berlin oder gibt in München eine Journalistenschule, da wollte ich hingehen. - Die beste in Deutschland (...) Und dann hatte ich nämlich,

00:10:06: dann hatte ich plötzlich eine Freundin und das wurde dann die Mutter meines Sohnes, da war ich gerade 21 und dann war das mit dem Journalismus weg, und ich hab zwischendurch immer gejobbt.

00:10:15: Ich musste dann Geld verdienen. Ich habe dann, weil ich das schon immer konnte, in Druckereien gearbeitet. - Moment, Sie huschen da so drüber weg, Herr Spiekermann,

00:10:25: das ist ja heute wichtig... - Ja, wenn wir eine halbe Stunde haben, können wir ja nicht 20 Minuten über meine ersten zwei Jahre reden, oder? - Nein, ich möchte aber gerne, weil das ist ja ein Bogen nach heute. Sie haben ja heute eine Werkstatt,

00:10:35: und da sind Druckmaschinen drin, und Sie haben gesagt, dass Sie das sowieso konnten. Man kann doch nicht einfach so - setzen können. - Doch.

00:10:44: Wie denn? - Das bringt man sich halt bei.

00:10:46: Na Entschuldigung, wenn Ihnen jemand eine Bohrmaschine und einen Bohrer und eine Wand gibt, dann wissen Sie auch wie man da ein Loch reinkriegt, oder? - Natürlich. - Ja, aber das ist doch komplizierter. - Das war einfacher. Wir haben in Stadthagen (...) neben einer Druckerei gewohnt und das waren Leute, mit denen meine Eltern befreundet waren, die haben den ... Anzeiger gedruckt, das war so eine klassische kleine deutsche Druckerei mit einer

00:11:06: Linotype, wo das so rasselt, wenn die Buchstaben runterfallen, wahrscheinlich einem Heidelberger Zylinder, das weiß ich nicht mehr. Und da habe ich meine Papierschnipsel hergekriegt,

00:11:14: für das Malen, ich hab immer so schmale Bilder gemalt, also was man bei dem Papier abschneidet, sind ja immer so kleine Ränder. Und mein Vater war Lastwagenfahrer mit Anhänger, also habe ich immer Lastwagen mit drei Anhängern gemalt, die passten schön in das Querformat.

00:11:25: Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn ich quadratische gehabt hätte. Das ist eben alles so, das war immer so blödes grünes und hellgelbes Karteipapier.

00:11:32: Und da bin ich in Berührung gekommen mit diesen Druckmaschinen und dem ganzen Drumherum, das ist irgendwie hängengeblieben. Und als ich dann nach Bonn kam mit 9

00:11:41: habe ich irgendwie als ich 11 oder 12 auf dem Gymnasium war, war ich dann der Schülerzeitungsredakteur, weil ich halt immer schon zeichnen konnte, habe auch Gedichte geschrieben - mach du das mal.

00:11:49: Und die Zeitung wurde in der Bonner Universitäts-Buchdruckerei gedruckt, noch im Buchdruck mit Bleisatz, und das war grad bei wo wir wohnten

00:11:57: um die Ecke, ich konnte da oben von meinem Zimmer runtergucken. Dann war ich dann da und habe

00:12:02: mit dem (...) mit dem Setzer dann geredet, und er hat so nach meinen Skizzen das gemacht, also ich habe eigentlich, der hat das alles gemacht, ich hab gesagt "da muss ein Bild hin und da kommt die Schrift hin", das hat er gemacht. Und ich weiß noch, dass ist glaube ich wirklich dieser,

00:12:16: wie sagt man das, Erweckungsmoment, das weiß ich ganz genau, dass es das erste Mal war, dass der an dieser

00:12:23: an dieser Druckmaschine - so eine kleine Abziehnudel nennt man die - so ein kleines Ding, tischgroß, und da liegt eine Seite drin, und so eine Seite ist ja eine Mischung aus Blei und Aluminium und Messing und Holz, es sieht alles ziemlich schmutzig aus, man erkennt ja nichts,

00:12:37: es ist spiegelverkehrt, falsch rum, und dann nimmt er so eine Rolle und schmatzt so eine schmierige Farbe drauf, die man gleich immer an den Fingern und in meinem Fall an der Hose oder am Hemd hat,

00:12:48: und legt ein weißes Blatt Papier auf dieses eingeschmierte schwarze Metallzeugs, ratscht mit der Weiße drüber und hebt das ab mit spitzen Fingern.

00:12:55: Und da ist wirklich - also ecce homo sozusagen - da war plötzlich Schrift. Und zwar nur da, wo sie sein sollte, der Hintergrund war weg, das war weiß.

00:13:04: Es war plötzlich eine Seite aus einer Zeitung, das war wie eine Wandlung von Rotwein zu Blut. - Aber wie traurig müssen Sie sein, Herr Spiekermann, wie traurig müssen Sie sein, dass jetzt mittlerweile

00:13:14: Leute wie ich sich hinsetzen können und können am Computer da so ein bisschen rummachen, drücken eine Taste und dann kommt es genauso aus dem Laserdrucker raus. - Das ist wunderbar! Also, es ist - ich komme gleich mit dem Backbeispiel - das heißt zumindest schon mal, dass Sie diese geistige Nahrung vor sich liegen haben, Sie haben hier was ausgeschrieben,

00:13:30: die Schrift ist viel zu fett und schmal, aber wenn Sie es mögen, gut. Jeder kann heute

00:13:35: gedruckte Mitteilungen herstellen, ist doch wunderbar. Wie eben auch jeder backen und kochen kann, nur die Idioten kaufen stattdessen Fertiggerichte und so ist es damit auch. Das ist ein Fertiggericht, damit kann man sich zwar ernähren, aber nicht besonders gut.

00:13:45: Wenn ich selber backe, habe ich ein ganz anderes Erfolgserlebnis, und das ist in meinem Beruf eben so. Ich mache das alles selber, inzwischen sogar

00:13:51: richtig wieder mit Blei, also ganz selber machen... - Aber kann ich das merken? Kann ich merken, wenn Sie mir damit was drucken? Woran merke ich das dann, dass es nicht aus dem Laser kommt? - Das ist ein Unterschied, wie wenn Sie hier ein Brot beim Steinecke kaufen oder oder ein richtiges.

00:14:03: Das merken Sie in dem Augenblick, wo Sie reinbeißen. Das merken Sie, wenn Sie es in die Hand nehmen, merken Sie das.

00:14:07: Jetzt haben Sie schon gesagt, ich habe heute, normalerweise nehme ich diese Schrift gar nicht, das ist Helvetica schmalfett.

00:14:15: Habe ich genommen, weil ich dachte, wenn Sie schon da sind, muss ich mal eine andere Schrift nehmen. Und Sie sagen jetzt, die ist Ihnen jetzt zu schmal... - Die ist viel zu fett.

00:14:23: Weil man liest ja, man kann ja schwarz nicht lesen, schwarz sendet ja kein Licht aus, wir lesen ja weiß. Schwarz ist ja nichts, das Auge sieht ja schwarz nicht bekanntlich.

00:14:31: Ja, ich wusste das nicht, aber jetzt weiß ich's. - Wenn Sie ins Schwarze gucken, sehen Sie doch nichts, ist doch schwarz. Schwarz sendet kein Licht aus, da können Sie auch nichts sehen.

00:14:40: Den Kontrast zwischen Schwarz und Weiß lesen Sie, und hier ist sehr wenig Weiß, weil die Schrift zu fett ist.

00:14:45: Okay, also die nehme ich nicht mehr. Hier "The Economist", was ist daran Spiekermann? -  Das ist schon das zweite Re-Design, das erste war 2001.

00:14:59: Das Ding war schwarz-weiß, die Leser haben einfach nie was gefunden, z.B. gab's ... - Ist immer noch schwierig...

00:15:05: Ja, das ist halt, man muss sich schon bisschen anstrengen, das ist nicht die Rasselbande. Also z.B. hatten die früher, jetzt haben sie zwei Seiten Inhaltsverzeichnis, früher gab's nur eins, und die hatten so einen Redakteur, der hatte im Inhaltsverzeichnis immer diese kleinen, diese

00:15:20: Unterüberschriften geschrieben, und die waren immer sehr komisch, wie die Briten so sind, immer so kleine Puns. Waren da so Witze versteckt. Und dann hieß so ein Artikel (...) über Idi Amin, den berüchtigten Diktator von Uganda, und da war irgendwie,

00:15:32: Idi Ubi oder sowas, also I wie Isiha, das war die Headline.

00:15:38: Und dann stand da Seite 54 und dann haben die Leute geblättert und auf Seite 54 stand "Ugandian President" sonst was irgendwas, da hat keiner den Artikel gefunden. Und das ging überall so und da waren die Leute frustriert, weil der Redakteur war so clever, der hat so tolle Wortspiele gemacht, hat die Leute aber eben nicht (...) da haben sie es weggeschmissen,

00:15:52: nicht gelesen. Außerdem kam das Ding am Montagfrüh raus, wenn das Wochenende vorbei war.

00:15:56: Wir haben also das erste gemacht, dass das Ding am Freitagfrüh am Kiosk ist, hat man nämlich das Wochenende. Und dann dafür gesorgt, dass man das Inhaltsverzeichnis, dass man sieht, was einen erwartet, denn keiner kann so ein Ding von links oben bis rechts unten lesen, ist so beim Spiegel auch nicht - ist mit Spiegel vergleichbar.

00:16:10: (...) Gefällt mir besser als der Spiegel. - Das ist eine ganz andere Frage. - Und die haben so ein feines Papier. - Ja, das ist  eine Gewichtsfrage. (...) Das war gegeben, weil die drucken ja in sechs Kontinenten.

00:16:23: Drucken ja eine Millionen, das muss schon ziemlich schnell gehen. Wir haben das gemacht, was wir bei der BVG auch gemacht haben, das nennt man "wayfinding". - Jetzt haben wir so einen abrupten Stopp, von der Kindheit, von der Inspiration, von dem Erweckungserlebnis wie Sie gesagt haben, hin zu den Sachen, zu den großen Projekten, die Sie dann gemacht haben.

00:16:41: Sie haben in der Druckerei gejobbt, um Ihre Familie durchzubringen. Dabei haben Sie es natürlich logischerweise nicht bewenden lassen, Sie haben auch studiert, da habe ich gelesen, dass Sie schon mal gesagt haben, Sie hätten das Studium abgebrochen, weil es Ihnen zu esoterisch gewesen sei. - Ja, ich war, ich hab während ich zur Schule ging nachmittags noch eine Lehre gemacht, die ich auch nicht abgeschlossen hab, als Setzer,

00:17:00: weil die Schule war mir zu langweilig, da war ich nicht ausgelastet.

00:17:03: Bin dann nachmittags um 3 zur Lehre gerannt, hab das auch nicht zu Ende gemacht, weil nach zwei Jahren kann man das, da muss man keine Prüfung machen und das wär mit dem Studium genauso.

00:17:11: Ich hab Kunstgeschichte studiert, weil mich interessierte, warum Sachen so aussehen wie sie aussehen.

00:17:17: Also warum hat der so gemalt und der so gemalt. Dann war ich aber dann in Dahlem damals, ich glaube es war mindestens zwei Semester, wo wir nur über die Hautfarbe bei Rubens geredet haben.

00:17:25: Dachte ich, das weiß ich jetzt nach zwei Semestern, und da habe ich gemerkt, dass das ungefähr noch 30 Jahre dauert bis wir dann vielleicht bei Rembrandt ankommen oder bei Tischdeckenfarben nicht Hautfarben. Es war mir einfach zu langsam, ich bin da relativ schnell.

00:17:37: Ich hab dann gleich verstanden, um was es geht und das war mir dann zu doof. Dann war ich noch bei den Architekturhistorikern an der TU ein bisschen, an der HDK vielmehr,

00:17:45: die damals noch HDK hieß, heute UDK am Hardenbergplatz (...) und das war auch irgendwie,

00:17:53: ich hab's nicht zu Ende gemacht. Zwischendurch hab ich gearbeitet, es hat mich alles interessiert, es war toll, aber ich habe mir keinen Beruf da vorstellen können, ich musste ja arbeiten. - Was war Ihr Durchbruch als Grafikdesigner?

00:18:03: War das die Schrift, die Sie erfunden haben? - Naja, also das erste richtig dicke Ding, also den ersten großen Auftrag, den ich gemacht habe, war für eine deutsche Bank. Ich habe 10 Jahre in London gelebt und hab von da aus deutsche Aufträge für ... - Moment, warum haben Sie... - Ich hatte eine englische Frau.

00:18:17: Also mein Sohn, in Berlin gebürtiger, ist aber Engländer, ist beides.

00:18:22: Und wir sind dann irgendwann nach England umgezogen aus Gründen, für die wir noch mal zwei Stunden brauchen das zu erklären, und hab von da aus dann bei einer Agentur gearbeitet, die sehr viele deutsche Aufträge hatte. (...) hießen die.

00:18:31: Die haben gesagt, Spiekermann mach mal, weil die Engländer haben ja damals noch in Zoll gemessen und in Füßen, das konnte ja keiner verstehen, und die konnten deutsche Pläne nicht lesen und umgekehrt.

00:18:40: Die BFG Bank - Bank für Gemeinwirtschaft, die auch zurecht so hieß, weil die waren wirklich ziemlich gemein, sind dann auch mal pleite gegangen, weil mit der neuen Heimat, die sich alle bestochen haben gegenseitig und

00:18:51: den Auftrag haben sie mir dann gegeben, das war Ihnen zu lästig. Und damit bin ich dann nach Berlin zurückgekommen, hab Metadesign gegründet, 79, genau vor 40 Jahren, und dann war ich plötzlich hier und hatte diesen Riesenauftrag an der Backe

00:19:03: und wusste dann nach 2 Jahren,

00:19:05: wie man sowas macht, wie man ein großes Unternehmen umbaut. Vom grafischen Erscheinungsbild her, das dauert 2-3 Jahre. - Warum dauert das so lange? - Sie machen erstmal eine Theorie, sagen wir mal wie die Rückenbeschriftung für adidas,

00:19:16: und dann muss die aber bei so einem Unternehmen in jeder Filiale, auf jedem Formular ankommen und das machen Sie nicht von heute auf morgen, die reißen ja nicht alles ab.

00:19:23: Ich hab kürzlich neben einer Freundin gesessen, die auch Grafikdesignerin ist und die sollte ein neues Logo entwickeln, sie hatte jetzt 6 Logo-Varianten vor sich, die sie

00:19:35: offenbar auch schon entwickelt hat, das war immer so ein Kreis und in dem Kreis war eine Lücke gelassen und in diese Lücke drang irgendwas ein, entweder ein anderer Kreis oder

00:19:44: so ein Oval oder sowas. Und für jemand der nicht Designer ist,

00:19:48: sitzt man davor und ist völlig ratlos und denkt sich "ja, mein Gott." Sie hat mir das dann angezeigt und dann

00:19:56: dachte ich mir was um Gottes Willen soll ich jetzt dazu sagen? - Und dann findet man sowas wie Adidas, dann sagt man es ist aber neu und ungewöhnlich und das kommt

00:20:02: vom Überfliegen konstruktivistischer russischer 20er-Jahre... - Eine Lügengeschichte würde mir dazu einfallen, aber jetzt jemand wie Sie, der sagt:

00:20:13: "So soll das jetzt aber sein" - welche Kriterien legt man da an? Ist das der eigene Instinkt zu sagen, dieser Kreis mit dieser

00:20:22: spezifischen Auslassung ist gut und dieser Kreis mit der anderen Auslassung ist nicht so gut wie der erstgenannte. - Ja, einmal ist es natürlich, es gibt ja physikalische

00:20:31: Leistungen, die man da erbringen muss. Also man muss es in allen Lagen, Größen erkennen. Früher haben wir uns die Dinger zugefaxt, um zu sehen, ob sie noch funktionieren beim Fax. Brauchen wir heute nicht mehr. Heute muss man es aufs iPhone als kleines Icon kriegen, dann muss es auch noch funktionieren, das ist heute der Test.

00:20:45: Früher war es schwarz-weißes Fax. Es muss

00:20:48: ja, es muss diesen ästhetischen Mehrwert haben, es muss was über das Unternehmen aussagen, vielleicht sogar über die Leistung dieses Unternehmens, was natürlich schwierig ist. Ich meine, wenn man VW ist, ist es einfach, schreibt man VW rein, weiß jeder dass es VW ist. Aber der Mercedes-Stern hat an sich überhaupt keine Aussage,

00:21:00: das muss lernen, weil man eben 100 Jahre lang an jeder Straßenecke die Dinger stehen sieht.

00:21:04: Reden wir da mal, Herr Spiekermann, über die Schriften. Mir ist aufgefallen, als jemand, der solche Marken auch mag wie Mercedes-Benz, da hab ich mich mal gefragt,

00:21:13: diese Schrift, die die haben,

00:21:15: was ist das für eine Schrift, und vor allem, kann ich wenn ich jetzt diese Schrift - ich habe mir schon Briefpapier setzen lassen - und wenn ich das jetzt auf mein Briefpapier, wenn mein Name da jetzt steht, hat das dann eine Mercedes-Ausstrahlung oder hat die Schrift

00:21:28: von Haus ... - Das ist auch wieder so eine Frage, wenn das ein Unternehmen wäre, das irgendwo im fernen Osten Zahnräder baut, würde das keinen interessieren. Aber wenn die eben millionenfach auf den Straßen stehen, ist so eine Marke natürlich drin und die Mercedes-Schrift, die wir übrigens gerade neu gemacht haben,

00:21:40: mit meiner Agentur, wo ich noch ein bisschen verwickelt bin, die ist im Laufe der Jahre den Leuten so nah gekommen, dass sie natürlich wie bei der Bahnschrift auch - die erkennt ja keiner - wenn Sie das zeigen, sagen's nicht

00:21:53: dann sagen die Leute, "Ach, das ist von der Bahn."

00:21:55: Man hat das irgendwann gelernt, diese Handschrift zu identifizieren, wenn Sie denn eigen genug ist aber nicht albern, und Mercedes hat immer schon diese - das ist ja von Kurt Weidemann in den frühen 80er Jahren gemacht worden -

00:22:05: das ist einmal diese Antiqua, also die wertvolle mit den Füßchen dran, die man so eher im Bankenbereich ansiedelt, und dann die normale ohne Füßchen dran, die serifenlose, und diese Mischung ist immer Mercedes-Benz, beides.

00:22:15: Und es ist die einzige Autofirma, die sich getraut hat so eine edle Schrift zu nehmen, alle anderen sind ja eher so ein bisschen mechanischer.

00:22:20: Ob das jetzt Audi ist oder Volkswagen auch oder wie auch alle. Und das war immer schon, da war Mercedes immer schon bisschen besser, ein bisschen unpraktisch auch,

00:22:28: deswegen haben die jetzt alles neu machen müssen, weil diese wunderbare Schrift aus den 80er-Jahren funktioniert physisch-technisch nicht auf diesen kleinen Instrumenten, auf den ganzen Bildschirmen.

00:22:34: Aber im Prinzip haben wir diese Dualität behalten, es gibt eine wertvolle, schmale, schlanke,

00:22:40: altmodische Schrift, eigentlich will Mercedes ja immer noch ein bisschen so sein, denke ich, und dazu eine pragmatische, mit der man eben auch die Geschwindigkeiten auf dem Tacho lesen kan. - Es gibt doch diesen Mann von der RWTH Aachen,

00:22:49: der sich den Elektro-, den elektronischen Lieferwagen ausgedacht hat, der sich einen Kleinwagen jetzt ausgedacht hat mit seinen Studenten, den jeder bezahlen kann. Dafür würde sich dann so eine Schrift, wenn der jetzt zu Ihnen käme...

00:23:04: Das wäre völlig falsch.

00:23:05: Man kann ja Schrift aber nicht elektrisch aussehen lassen. - Ja, das ist, also das Problem bei Schriften ist, das ist im Grunde genommen so wie unser beider Haarschnitt, also viel kann man da nicht machen.

00:23:15: (...)

00:23:19: Also wir können uns nicht mehr von links nach rechts kämmen und aus dem Gesicht streichen geht auch nicht mehr und vor Wind haben wir auch keine Angst mehr. - Obwohl ich davon träume...

00:23:25: Natürlich, diese Bewegung mal wieder machen, so ein Kopfnicken nach hinten. (...) Um das auf Schrift zu übertragen, ein A ist ein A und ein B ist ein B, meine Gestaltungsbreite ist vielleicht 5%, das muss ja immer noch nach dem deutschen Alphabet aussehen.

00:23:43: Bei adidas sah es eben nicht danach aus, um wieder zurückzukommen. Und deswegen habe ich relativ wenig Toleranz, ich arbeite deswegen in Kriterien, die uns

00:23:51: geschichtlich, historisch überliefert sind - eine Zeitungsschrift sieht so aus, eine Nachrichten-Schrift sieht so aus, mechanisch sieht so aus, und so weiter. Ich hab ja auch die

00:23:58: fürs ZDF diese Nachrichten-Schrift gemacht für unten drunter, die sieht ein bisschen aus wie Schreibmaschine, weil das kennen wir, auch wenn wir keine Schreibmaschine mehr kennen. Das sieht noch aus wie schnelle Nachrichten.

00:24:06: Dann groß und fett wie Sie da haben sieht eben mechanisch aus und mit so Füßchen dran und schmal wie Daimler-Benz sieht edel aus, das ist eher Cartier oder so in dieser Größe, das haben wir gelern.

00:24:17: Dass die aus historischen und technischen Gründen so sind, dass es auf den Kupferstich zurückgeht und andere Techniken oder den Steindruck ist heute ja egal. Wir haben gelernt, dass eine Zeitungsschrift anders aussieht als eine Buchschrift, als eine

00:24:28: Werbeschrift, als eine Schreibschrift. - Warum erkenne ich jetzt wenn ich hier bei dem Economist, warum erkenne ich dass

00:24:34: dass es Englisch ist, dass es woanders her ist? Warum erkenne ich das? - Weil das Schriften sind, die sind für den Economist gemacht. Wenn man das ein paar mal gelesen hat,

00:24:43: dann hat man dieses Metabild im Kopf. Man weiß, das ist deren Handschrift, so wie ich Ihre Handschrift auch erkennen würde, wenn Sie mir zwei Briefe schreiben, das ist so. Und das ist, die Schrift des Economist ist relativ normal.

00:24:55: Erkenne ja nur ich als eigene, aber das ist die Gesamtheit, die Farbe, die Anordnung und der Kontrast von hier in den zwei verschiedenen Schriften, die hat man irgendwann gelernt.

00:25:04: Wenn man sie bewusst wahrnähme würde es ja nicht funktionieren, ist ja wie Hintergrundmusik. - Wie lange dauert das,  jetzt beispielsweise für die BVG, Sie haben diese die ganze BVG begleitet. Wie lange dauert das bis oder hat es damals gedauert, bis die wussten, so möchte ich das jetzt, so soll das

00:25:20: vonstatten gehen und so wird vor allen Dingen die BVG ein sympathischer,

00:25:24: ein sympathisches Nahverkehrsunternehmen, was für mich als Kunden, als Mitfahrer gemacht ist? -  Also bei der BVG wusste ich schon 1987, das wussten die nur noch nicht, das habe ich nämlich

00:25:33: ich hab da jahrelang (...) und wollte diesen Job haben, weil das immer schon scheiße war, sich in Berlin zurechtzufinden.

00:25:38: Und hatte das alles schon sozusagen vorbereitet, auch gelernt aus London und aus anderen funktionierenden Nahverkehrsbetrieben, als dann die BVG,

00:25:46: die hat mich zwischendurch immer rausgeschmissen als Störenfried, aber dann 1990 im April standen sie auf der Matte,

00:25:51: weil dann war plötzlich Wiedervereinigung und keiner kannte sich hier aus. Dann haben sie mich richtig gebeten, ob ich denn eventuell in Betracht ziehen könnte und trotz unserer Meinungsverschiedenheiten in der Vergangenheit, Herr Spiekermann, würden Sie vielleicht ... und ich hab mir gedacht, das ist der Job des Lebens, oder?

00:26:06: Und das war auch wirklich der Durchbruch am Ende, weil wann kommt schon mal - also abgesehen, ich hab vorher Bundespost, den ganzen Kram gemacht. Die Schrift wollten sie nicht haben, weil sie doof waren (...) damals war es noch das Postministerium.

00:26:19: Wieso waren die doof? -  Weil das zu neu war. 85 habe ich denen eine Schrift vorgeschlagen, damals kam der Macintosh raus,

00:26:27: also der Computer für alle sozusagen. - Das hat Ihnen gefallen. - Ja, für mich war das toll, damit hatte ich ein Werkzeug, um selber Schrift zu machen. Das ging ja, vorher musste man ja riesentechnische Anstrengungen unternehmen. Aber bei der Post, die war noch sehr im Steinzeitalter. Als ich denen sagte,

00:26:40: ich bin hingefahren nach Bonn, mit so einem kleinen Macintosh, hatte ich mir in Frankfurt geliehen, (...) bin hingefahren im Sommer 85.

00:26:47: Und hatte dann so eine Diskette in der Hemdtasche, damals Sie kennen noch die kleinen Disketten, sagte: "Darauf ist eure Schrift." Da haben sie sich, sind vor Lachen tot umgefallen fast.

00:26:54: "Der Spiekermann, der spinnt ja völlig, wie da soll eine Schrift drauf sein, Schrift wiegt doch Tonnen, die muss man auf Lastwagen laden." Dann haben die gesagt, eine eigene Schrift können wir nicht machen, weil dann müssten wir ja von Flensburg bis Garmisch Partenkirchen Lastwagen in Bewegung setzen, die die Schrift bei allen Postämtern abliefert.

00:27:09: Die haben mich ausgelacht, die haben es nicht verstanden, waren auch alles Ältere, die hatten so künstliche Apparate, die hatten alle Baskenmützen auf.

00:27:14: Ich dachte auch, irgendwie bin ich im falschen Film. War dann auch nix aber ist gut, weil die Schrift hab ich dann später selber rausgebracht, das war meine erfolgreichste.

00:27:23: Bei der BVG da hat natürlich keiner mehr gelacht, die sind ja zu Ihnen gekommen,

00:27:28: haben gesagt, Herr Spiekermann, Sie müssen uns jetzt retten. Und jetzt noch mal die Frage, wie lange dauert das dann, also Sie haben gesagt, Sie hatten schon was liegen, aber bis Sie dann so, genau so machen wir das jetzt,

00:27:39: oder haben die dann auch noch ein Einspruchrecht, dass sie dann sagen. - Ja, natürlich, also z.B. wollten wir eigentlich alle Schilder

00:27:46: Weiß auf Schwarz machen, also hinterleuchtet, damit die weiße Schrift zu lesen ist. Man will ja eigentlich kein Schild sehen, mal will die Schrift sehen.

00:27:53: Aber nun ist es in Berlin so, dass die U-Bahnhöfe ziemlich niedrig sind und dass diese Schilder gleichzeitig auch ein bisschen als Leuchtkörper dienen sollen, also deswegen hat uns Herr Lorenz das ausgeredet. Wir haben also dann von Schwarz auf Weiß umgeschaltet, was ich nicht optimal finde, weil ich will eigentlich den Hintergrund nicht sehen, ich will nur die Schrift sehen.

00:28:07: Aber das war ein einfacher Kompromiss und die Entscheidungen sind im Grunde alle nur logisch. Man guckt, wo muss man langgehen, und da z.B. die Berliner Bahnsteige niedrig aber breit sind,

00:28:16: per Definition, Bahnsteige breit, sind die Schilder eher schmal und lang.

00:28:20: Dass man sie oben drüber hängt, die Schilder bei der BVG waren nämlich früher in einer Tabelle angeordnet von der Decke runter, hinter so einer Bank, saß immer einer davor.

00:28:28: Blödsinn, auf einem flachen Bahnhof die Schilder vertikal anzuordnen statt horizontal, das war der erste große Eingriff. Alles andere ist eigentlich logisch. Natürlich

00:28:37: haben wir eine Schrift ausgesucht, die lange deutsche Wörter unterbringen kann, die neutral wirkt aber nicht unsympathisch, die übrigens vom Pariser Flughafen kam,

00:28:46: wir haben sie aber schmäler gemacht, und

00:28:48: die Farbe Gelb gab es ja auch irgendwie immer schon in der Stadt. Die BVG hatte ihre großen Busse damals immer "die großen Gelben" genannt, die waren aber beige. Beamtengelb habe ich das genannt. Hab gesagt, "Leute, die sind doch gar nicht gelb."

00:28:58: "Doch, doch." "Ja, nein, die sind beige." "Naja, wenn Sie es so sagen, ja, die sind beige." Und die Haltestangen waren braun in den Bussen, die konnte man nicht sehen, jetzt sind sie gelb, weil man gelb sehen kann.

00:29:08: Und dann hieß es bei MAN damals immer "nein, bei uns gibt's nur braune Haltestellen". Augenblick, aber die BVG kauft das doch, die bestellt das doch, die können doch... Nee nee, auch die BVG sagt, es gibt nur braune Haltestellen. Ich sagte, aber ihr bezahlt das doch.

00:29:20: Ihr könnt doch auch für Gelb bezahlen. Also, ich hab schon ziemlich gestört. Das wollte man eigentlich nicht. Eigentlich wollte man alles so lassen wie früher, es ging aber nicht mehr.

00:29:27: Weil Ostberlin und Westberlin waren ja nun plötzlich zusammen, also es war ein Glücksfall und das war auch glaube ich das

00:29:33: den hat nicht jeder, ich war zur rechten Stelle am rechten Ort und hatte auch das richtige Team, muss man jetzt dazu noch mal sagen, also Spiekermann hat sehr wenig alleine gemacht.

00:29:41: Ich hab immer Teams um mich gehabt. - Aber wie funktioniert das? Also dann kommt da einer und sagt, ja hier, dass da immer einer davor gesessen hat, das haben Sie selbst

00:29:48: beobachtet und dann schlagen Leute auch Schriften vor, sagen "wir verändern die Buchstaben so, wir verändern sie so"? - Man muss dann schon gute Argumente haben, die hatten eine eigene Hausschrift, übrigens vom Entwerfer (...) Ich habe denen klar gemacht, dass es einfach besser lesbar ist und Beispiele gebracht, man muss die Leute überzeugen. Was ich da gelernt hab, vorher auch schon da spätestens,

00:30:07: dass man nicht durch Sprüche und durch Besserwissen überzeugen kann, durch besser machen.

00:30:12: Ich habe wirklich, da waren Meetings bei der BVG mit 30 Leuten dabei, da waren die Tunnelbauer dabei, die Elektriker, alle waren dabei, der Betriebsrat, weil alle mussten ja mitreden. Was ich im Nachhinein gut finde. Es war lästig,

00:30:22: weil die waren natürlich alle mir gegenüber völlig feindselig eingestellt. Da kommt immer so ein komischer Fuzzi mit Abitur und so einer roten Brille, hatte ich damals noch, und will uns hier erzählen, wie man Verkehrsbetriebe betreibt. Das wussten die ja. Also ich kann den Leuten ja nicht sagen, dass ihr Scheiße gemacht habt.

00:30:33: Deren Argument war ja, es funktioniert alles. Und ich sag, ja wieso. "Ja, wenn wir abends um 2, morgens um 2 zu machen,  ist keiner mehr übrig."

00:30:40: Also es kommen alle nach Hause. Also funktioniert das System. Das ist ja logisch in sich gesehen, also habe ich

00:30:45: beweisen müssen, dass meine Sachen besser sind. Und dann muss man wirklich sagen, wir hatten Haltestellen-Beschriftung,

00:30:53: gab es früher in Berlin nicht. Also wenn der Bus irgendwo anhielt, wusste man nicht wie die Haltestelle hieß. Sagte der Typ von der BVG,

00:30:59: "Aber weiß doch jeder also (...) heißt Knesebeckstraße." Ja, das kann ich doch nicht wissen! Das wussten die im System. Die wussten es selber.

00:31:08: Dann haben wir mal eine Haltestelle gebaut, wo Knesebeckstraße draufstand, und dann kam der an zu mir, der Kollege, sagt, "Mensch Spiekermann,"

00:31:15: so Nachname duzen - "Das hast du gut gemacht, das ist echt voll besser." Und dann waren wir Freunde.

00:31:21: Weil ich hab ihn nicht scheiße aussehen lassen, ich hab's nicht besser gewusst, ich habe es einfach gezeigt, wie es sein könnte. Und dann war es seine Idee, nicht meine Idee, ist ja wichtig, dass man Leuten

00:31:28: deine Idee auch nahelegt, dass sie damit auch selber leben können. - Sie haben gesagt, Sie waren zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Platz. Müsste man nicht sagen,

00:31:37: dass diese Zeit, dass unsere Umgebung, dass die Hinweise auf Produkte, dass das vorbei ist, dass man das industriell haben will. Weil ich sehe ganz oft in Cafes oder so, dann schreiben die Leute hin "Heut gibt es...", also es ist, wirkt sehr charmant,

00:31:54: das Handgemachte, das Selbstgemachte, wie Sie selbst vorhin auch gesagt haben, beim Buchdruck merkt man den Unterschied. Das hat ja eine gewisse Konjunktur.

00:32:01: Ja das Ironische ist daran, dass die ganzen selbstgemachten Schriften natürlich auch elektronisch erstellt werden. Ich hab eine Kollegin bei mir sitzen als Untermieterin, Ulrike Rausch, die macht solche handgeschriebenen Schriften.

00:32:11: Da macht sie von jedem Buchstaben 7 Versionen, und wenn man das auf den Computer eintippt, dann ist wenn sie 2 S nacheinander haben, ist das zweite anders als das erste S, und dann sieht's aus als wenn sie es geschrieben hätte.

00:32:20: Weil man will, man vertraut dieser Handschrift immer noch. Das alte Beispiel ist ja, wenn Sie irgendwo fahren Sie auf der Landstraße lang, da ist ein großes Schild aus Arial, frische Eier, fahren Sie dran vorbei.

00:32:30: Wenn das aber die Bäuerin mit Kreide so mühselig auf die Kreidetafel geschrieben hat mit ihrem alten Sütterlin vielleicht noch,

00:32:36: Sie konnten's kaum lesen, dann sind die Eier frisch. - Und ein bisschen falsch, wie die Bäckerin in meinem Heimatort,

00:32:41: die hat das falsch geschrieben "Brot mit ganze Nüsse". Und natürlich, das ist charmant. - Wahrscheinlich wird es auch schon ein Computerprogramm geben, das sowas schon einbaut.(...) - Aber das geht doch eigentlich in jedem Bereich und theoretisch kann man ja alles mit Handschrift

00:33:01: bewerben. - Na ja, bewerben schon. Aber das passt nicht für ein Automobil z.B. für ein gebrauchtes, das muss dann weg. Also ab 3000 € würde ich nicht mehr mit Handschrift werben.

00:33:11: Wenn Sie auf so einen Hof von so einem Gebrauchtwagenhändler gehen und da steht mit der Handschrift dran, Mercedes Benz 200D

00:33:16: für 1500 Euro, dann muss der schnell weg. Da hat er nämlich schon ziemlich Rost angesetzt. Das muss gedruckt sein. Das geht für Brötchen, für Sachen, die verderben,

00:33:24: geht Handschrift. - Aber an sich werden wir ja durch Design total geprägt, wenn ich jetzt überlege, als jemand der

00:33:32: als Kind die erste Generation der Sesamstraße miterlebt hat in Deutschland, da ist bunt für mich verbunden gewesen mit Sesamstraße. Das ist mittlerweile abgelöst, sehe ich was Rundes, was Buntes, denke ich Google. Was für ein fabelhaftes Design,

00:33:47: oder? Bewundern Sie das auch? - (...) Nein, das ist wiederum eine Frage der Verbreitung, noch mal, das ist die Marktmacht.

00:33:58: Wir können im Grunde genommen jeden Scheißhaufen wertvoll darstellen, wenn wir sie nur häufig genug verbreiten. Also wie gesagt, der Mercedes-Stern, das VW-Zeichen, Sachen, die wir jeden Tag sehen, ob es der Apple ist, der Nike-Swoosh,

00:34:08: das ist ja kein tolles Ding.

00:34:10: Das ist ja völlig albern, es ist nur, weil es eben Millionen Mal gesehen wird. Sie können jedes dusselige Zeichen können Sie bekanntmachen, indem Sie es einfach millionenfach verbreiten. - Das Zeichen muss dafür keinen

00:34:20: Charakter oder keine Eingängigkeit haben, die anderes Zeichen nicht hat? - Na gut, mit einem Quadrat können Sie es nicht machen.

00:34:25: Vielleicht können Sie es sogar mit einem Quadrat und einem Punkt machen. Die Telekom hat probiert eine Farbe wie Magenta, einfach in Deutschland gepachtet, auch sogar geschützt.

00:34:32: Wenn es irgendwie Magenta ist, wissen Sie es ist Telekom. Das ist eine Marktmacht. Wenn wir beide das machen würden, kräht da kein Hahn nach. Wir können zwei Jahre mit einer magenta Hose rumlaufen, das interessiert keinen,

00:34:40: aber wenn die Telekom das an jeder Straßenecke macht und in jeder Werbung und in jedem Brief, den man nach Hause kriegt,

00:34:46: dann ist das plötzlich eine Marke. - Aber gefällt Ihnen denn dieses Design von Google als Suchmaschine? - Ich find das Design von Google fürchterlich, ehrlich gesagt. - Warum? - Weil es kindisch ist und albern, diese lächerlichen Primärfarben, ich braucht die nicht.

00:34:57: Aber das soll natürlich diesen Eindruck, freundlich - do no evil - natürlich machen die evil, jede Menge, aber

00:35:05: das kommt rüber so, wie so ein Kinder-Baukasten, Lego, Primärfarben, schön harmlos, ist eigentlich oberzynisch.

00:35:12: Ist nämlich nicht harmlos, wie wir auch wissen. - Sie meinen also, es ist ein zynisches Design? - Also wenn sich eine Firma mit zigtausend Angestellten

00:35:20: uns gegenüber so darstellt, als wenn sie gerade aus dem nächsten Kindergarten kommen, das ist schon ziemlich zynisch. Aber es funktioniert ja leider. - Was ich merkwürdig finde ist, ich habe immer den Eindruck, wenn ich bei Amazon gucke, das Gefühl, das ist irgendwie nicht gelungen, weil das so kompliziert ist. - Nein, das ist billig.

00:35:34: Amazon ist so, das ist die Teufelsfirma überhaupt, ich würde lieber verhungern als bei Amazon auch nur einen Keks zu kaufen.

00:35:40: Warum? - Weil das eine Scheißfirma ist, böse Ausbeuter, die den Einzelhandel kaputt machen, die ökologisch, es ist eine richtige Scheißfirma mit allem drum und dran, das sage ich ohne jeden Kompromiss, genau wie Facebook.

00:35:52: Da bin ich auch schon lange raus, ich will nie im Leben was von Amazon kaufen, weil die

00:35:55: in den Staaten noch viel mehr als hier, den Einzelhandel völlig kaputt gemacht haben, auch viele Zwischenhändler kaputt gemacht haben, weil es ja nur darum geht, billig, billig, billig, und in

00:36:05: aller Welt fahren diese scheiß Lastwagen rum, keiner geht mehr ins Geschäft. Gut, in Amiland können sie auch kaum ins Geschäft gehen, weil da gibt es ja keine mehr.

00:36:11: Ich finde das oberfatal, auch wie sie mit ihren Leuten umgehen, das ist eine richtige Sklavenhalterfirma, wie auch Uber und diese ganzen neuen Erfindungen. Die sind alle richtig böse, finde ich. - Da rührt sich in Ihnen der alte linke Student. - In der in der Tat, also Firmen, die auf Ausbeutung tendenziell

00:36:27: basieren und darauf die Welt zu verderben, nur weil irgendein Idiot auf dem Mars leben möchte, von mir aus soll Bezos morgen auf den Mars fliegen, sind wir ihn los.

00:36:34: Warum will der auf den Mars? Hab ich nicht verstanden. Wie auch immer, sowas muss man sabotieren, aber die sind ja nicht so raffiniert, da arbeiten ja auch weiß nicht 3000, wie bei Facebook arbeiten 6000 Leute an der Website.

00:36:44: Die schieben da jeden Tag 5 blaue Pixel rum, ich weiß nicht, was die den ganzen Tag machen. Das könnten auch 300 machen, aber

00:36:49: hat auch damit zu tun, dass der Abteilungsleiter vom Design, wenn der 3000 Leute hat ist der natürlich wichtiger als wenn er 300 hätte. Also haben sie 3000 Leute da sitzen von denen 2000 wahrscheinlich nichts machen.

00:36:58: So viele Leute können ja nicht an der Webseite arbeiten, und bei Amazon sind die aber so raffiniert, dass eben dieses Billige, das darf ja nicht zu schick sein. Wenn das schick wär, wäre es ja teuer. Wenn es Apple wäre, wär's teuer, Apple ist schick.

00:37:08: Schick und cool und glatt. Und Amazon ist chaotisch, weil sie Kleinkram verkaufen, immer zwei Mark billiger als woanders. Und deswegen muss das so oll aussehen, so ein richtiger Rumpelladen. Das ist Absicht, das ist böse geplant, die wissen genau, wo wir hinklicken.

00:37:23: Und da wo wir immer hinklicken, weil wir entweder linkslastig sind oder schlecht sehen können oder was auch immer, die meisten sind ja Rechtshänder z.B. und wir lesen von links oben nach rechts unten, wir hier, nicht die Chinesen, nicht die Araber,

00:37:35: wissen die genau, wo ihre Klickdinger hinmüssen. Das haben die für dich erfunden.

00:37:39: Ich war Anfang diesen Jahres in Tokio und habe mich gefragt, ob wir nicht womöglich sowieso durch unser mickriges Alphabet mit 26 Zeichen sind wir doch womöglich ein bisschen Schmalspur.

00:37:53: Im Gegenteil.

00:37:54: Wieso, weil das ist doch viel toller mit den Zeichen da, ich hab versucht das Zeichen für Deutschland mir anzueignen und das auf Briefe oder Postkarten zu machen, und es war eine

00:38:03: das war eine Herauforderung, es ist auch nicht wirklich geglückt, aber es war auch ein ästhetisches Vergnügen.

00:38:07: Aha, so sieht das (...) für Deutschland aus. - Aber wenn Sie ein Intellektueller sind, also als normaler Mensch muss man 3500 Zeichen kennen.

00:38:16: Das machen die Zeitungen, 5000 wenn man ein bisschen unterwegs ist, und 8000 wenn man Wissenschaftler ist.

00:38:21: Das heißt natürlich schon, dass die Japaner und Chinesen uns vielleicht geistig überlegen sind, weil die müssen das lernen, das fällt einem nicht zu.

00:38:29: Wir müssen vielleicht 70-80 Zeichen lernen, Groß- und Kleinbuchstaben, Ziffern und so weiter oder vielleicht 100 und die müssen halt 8000 lernen oder mindestens 5000.

00:38:35: Das ist schon eine Gedächtnisleistung, die man loben muss, die sicherlich ein gutes Training ist, aber sowas ist scheiße unpraktisch,

00:38:41: weil unser Ding, wir können doch mit unseren lächerlichen, sagen wir mal, 25 Buchstaben in verschiedene Ausprägung können wir

00:38:47: (...) in allen Sprachen der Welt schreiben und immer wieder kombinieren, ich finde eine geniale Erfindung.

00:38:57: Dieses wunderbare, modulare Alphabet und kann darüber hinaus, wovon wir die ganze Zeit reden, auch noch Emotionen mittragen.

00:39:02: (...) - Wissen Sie, ob die Araber das über ihre Schriftzeichen auch können?

00:39:09: Ja... - Ich hab einen Starbucks-Schriftzug auf arabisch gesehen. - Die Araber sind in der Bewegung, weil es immer noch sehr religiös bedingt ist, da es die Handschrift des Propheten war.

00:39:18: Die dürfen nicht so wahnsinnig viel. Die haben natürlich auch Bewegungen, Leute, dass die das ein bisschen von der Handschrift wegmachen, da wird aber immer noch postuliert. Es muss mit der Hand geschrieben sein, weil es ja aus dem Koran kommt sozusagen, und diesen ideologischen Überbau haben wir ja nicht mehr. Den hatten wir zu Gutenberg Zeiten und haben den abgeschafft.

00:39:32: Gutenberg hat ja als Fälscher angefangen, der hat ja Ablasszettel gefälscht und ist dafür fast verbrannt worden, weil die Kirche gesagt hat, es kann ja nicht sein, die sehen ja alle gleich aus. Das muss Zauber sein,

00:39:41: Hexerei sein, weil vorher waren die ja von Hand geschrieben, waren alle ein bisschen anders. Gutenberg hat die gefälscht und damit auch gutes Geld verdient und bei den Arabern ist es noch ein bisschen so, also wenn man die Handschrift des Propheten

00:39:52: jetzt bisschen technisiert oder neu macht, dann ist das, dann geht man von der Religion weg von der wahren Lehre, deswegen sind die Araber noch nicht ganz so weit wie wir.

00:40:01: Aber ist das für Sie nicht, wenn hier unsere Handys vor uns liegen, Herr Spiekermann, ist das nicht für sie eigentlich dann eine triste Welt, weil das Schriftbild

00:40:08: keine so große Rolle spielt? Zudem, das ist häufig alles falsch geschrieben und dann, ja gut, was für Sie dann natürlich eine tolle Sache ist, sind die Emojis weil da... - Ach, um Gottes Willen!

00:40:17: Das ist die Verdummung, das ist ja ein totaler Rückschritt. Da gehen wir ja 5000 Jahre zurück. - Aber warum? Wir reichern das, wir reichern das an. (...) Ich schicke Ihnen ein Küsschen und dann ist doch der Kussmund dabei, das ist doch toll.

00:40:28: Ja, das geht ja gerade nochmal, aber es gibt ja 6000 von den Dingern, zumindest sind die offiziell registriert, und ich kann sowieso nicht unterscheiden, ob da Tränen rausfallen oder Scheiße aus dem Hintern quillt oder Tränen aus den Wangen. Ich weiß es nicht. Ich kann die nicht unterscheiden und die sind auch meistens,

00:40:41: sind eben austauschbar und sind ja oft genug, muss ich mal kritisch sagen, die Abkürzung, wenn man noch zu faul ist etwas genau zu beschreiben.

00:40:49: So wie man im Deutschen ja auch gerne englische Wörter reinschmeißt, wenn man zu faul ist sich ein Deutsches auszudenken, also ich kann gut Englisch, deswegen kann ich das ruhig als Kritik äußern,

00:40:56: ist das so mit diesen Emojis auch so ein bisschen. Die Teenies schreiben sich 47 Emojiis hin und her, haben natürlich nichts damit gesagt

00:41:02: außer Sympathie ausgedrückt gerade mal. Ich finde das schon ein intellektueller Rückschritt. Soll von mir aus dazu kommen, ich mache es selber nicht, weil ich wüsste nicht, wem ich jetzt Küsschen schicken sollte.

00:41:13: Ja, aber das ist natürlich traurig. Sie könne mir gerne Küsschen schicken. - Ja, aber was würden Sie dann von mir halten?

00:41:17: Ist das dann eine Anmache? (...) - Nein, nein, ich würde einfach annehmen, dass Sie jetzt in einem Lebensalter sind, wo Sie der Zärtlichkeit mehr Raum lassen, (...) aber ich bin Ihnen auch nicht böse, wenn Sie mir keine Küsschen schicken. Ich bin offen gestanden ein

00:41:34: total

00:41:35: harter Gegner von Emojis, weil ich finde das auch infantil. Ein 47-jähriger Mann schickt mir ein lachendes Gesicht, was soll das? (...)

00:41:44: Aber was könnte denn die nächste Stufe davon sein, Herr Spiekermann? Man könnte ja jetzt sagen "Okay, uns beiden ist das zu primitiv", und dann können wir es noch nicht mal richtig erkennen. Wir wissen nicht "Was ist die Message?", dann könnte man ja, könnte man hingehen und sagen "Gut, diese Emojis sind so nicht gut, aber

00:41:59: wir denken uns oder ich sage "Herr Spiekermann, denken Sie sich doch mal welche aus, die mehr sagen und die klarer sind in der Botschaft. - Ich bin sehr glücklich mit meinem 25 Buchstaben. Damit kann ich alles sagen, was ich je sagen will.

00:42:12: Und ich finde auch Rechtschreibung wichtig, ich schreibe auch gerne richtig, also E-Mails schreibe ich zum Beispiel alle klein, weil es auch aus dem Englischen so ist, und sobald ich groß und klein schreibe, dann weiß mein Gegenüber, dass es etwas Wichtigeres ist.

00:42:22: Wenn ich Ihnen so eine E-Mail schreiben würde, hier den Kollegen auch neulich, war glaube ich alles klein geschrieben, weil das geht schneller und da werden nur Eigennamen natürlich groß geschrieben und Monatsnamen und so ein Kram.

00:42:31: Da denke ich schon drüber nach, aber da ist mir dann auch die Schrifttype nicht wichtig, weil da geht's ja wirklich nur um die Message, auch auf so einem Telefon.

00:42:37: Da geht's ja nicht um Emotionen und um Schicksal, da geht's darum irgendwas, also bei mir zumindest, irgendwas rüber zu bringen und eine E-Mail zu schreiben,

00:42:44: das muss nicht geschaltet sein. - Ich weiß, das hat ein Journalist, der Sie mal getroffen hat, hat das beschrieben, dass Sie hatten irgendwo so ein Fahrrad gesehen und begeisterten sich oder haben so eine Diskussion angefangen über dieses Fahrrad, über die einzelnen

00:42:59: Komponenten. Wie hilfreich kann Design sein, wenn es darum geht,

00:43:04: tatsächlich die Welt zu verändern oder zumindest Bewusstsein zu verändern? Weil jetzt im Moment geht's ja darum "Wie schaffe ich das?" Die Leute fahren gerne mit dem Auto. Ich möchte nicht dass sie mit dem Auto fahren, weil das Auto schmutzt.

00:43:13: und stößt CO2 aus. Ich würde lieber haben, dass sie anders

00:43:17: unterwegs sind, aber es ist im Moment nicht so wahnsinnig attraktiv, weil dann sage ich Ihnen "Guck mal, da steht ein Fahrrad, da kannst du drauf schwitzen" und dann sagst du "Nee, dann nehme ich das Auto". Kann Design da eine Hilfe oder wenigstens eine Stütze sein? - Was ich ja mache als Kommunikationsdesigner, der ich ja bin, jetzt mal abgesehen von dem ganzen Schriftkram, was ja ein Spezialgebiet ist,

00:43:35: wir machen ja Vorgänge, Zustände, Beziehungen sichtbar.

00:43:42: Also ein Gespräch, was wir jetzt halten, ist gleich wieder weg, aber wenn wir das jetzt aufschreiben würden,

00:43:47: machen wir das ja irgendwie sichtbar. Dann entscheide ich mich, mache ich das als Roman sichtbar, als Zeitungsartikel, wie auch immer. Also ich gebe dem eine Form. Ich bin also der Übersetzer des Wortes oder heute sagt man Content.

00:43:56: Irgendjemand macht Content, Sie z.B., und den Content kann ich nur rezipieren, also entweder über Funk oder über Fernsehen oder eben in gedruckter

00:44:03: Form, ist egal auf welche Art von Substrat, ob auf Bildschirm oder Papier und diese Übermittlung, das Übersetzen ihres Wortes, Ihres Contents übernehme ich.

00:44:12: Das gilt für alle Mitteilungen, ob ich jetzt auf dem Fahrradstreifen was male oder Werbung für Fahrräder mache, um in diesem Fall zu bleiben, es geht immer darum,

00:44:21: Leuten einen Inhalt verständlich darzubieten, ob es jetzt...kann auch die Wegeführung in der U-Bahn sein oder auf dem Flughafen oder sonst was, und das ist meine Aufgabe.

00:44:29: (...) Also erstmal ist es wichtig, dass der Rezipient, der gefühlte, gedachte, beabsichtigte, das versteht,

00:44:36: also innerlich wirklich versteht, lesen kann, verstehen kann.

00:44:40: Und das mache ich mit handwerklichen Mitteln. Ich weiß, wie viele Wörter in eine Zeile dürfen, wie groß es ungefähr sein muss, wie der Kontrast sein muss, das ist ja alles Handwerk.

00:44:47: Ich weiß, welche Farben besser lesbar sind als andere Farben. Das ist alles das ganz normale Handwerk des Kommunikationsdesigners. Und dann gebe ich den ästhetischen vielleicht Mehrwert dazu,

00:44:55: der vielleicht meinem Absender entspricht, dass der Spiegel eben anders mit mir redet als die Bild-Zeitung oder Sie anders mit mir reden als ein anderer Journalist z.B.

00:45:03: Und dann kommt vielleicht noch meine eigene Handschrift, also meine Sachen sehen immer bisschen anders außer als die von anderen Grafikern, weil ich bin relative rigoros und auch sehr faul.

00:45:11: Ich hab ja immer ziemlich eckige Sachen. Bei mir ist immer ein roter Balken oben drüber, wie bei der Bahn z.B. und sowas,

00:45:17: das ordnet. Ich arbeite tektonisch... - Aber das Interview, was die Leute mit Ihnen geführt haben, da ging es um das Design der 70er Jahre, um Pixel und sowas, die zurückkommen, die bei Leuten jetzt ja sehr populär sind, aber dazu haben Sie dann ja diesen Satz von der eckigen Scheiße gesagt auch.

00:45:33: Also Ihre Eckigkeit normalerweise, Ihre Technikhaftigkeit, die unterscheidet sich von dem (...) - Also ich bin kein besonders guter Grafiker im Sinne von schöne Bilder machen, das kann ich nicht.

00:45:46: Ich mache verständliche, saubere, aufgeräumte Seiten

00:45:50: wie beim Economist. Die haben einen ästhetischen Mehrwert, wie gesagt, der muss dem Inhalt entsprechen, aber nicht zu sehr eingreifen. Ich kann keine schönen Plakate und Bilder machen, da habe ich andere Leute, die das viel besser können. Das interessiert mich auch nicht. Mich interessiert eigentlich

00:46:02: sichtbare Sprache. Wie mache ich Sprache sichtbar, sodass sie verstanden wird?

00:46:06: Und es geht dann einen Schritt weiter, wenn man dann anfängt rumzumalen und schöne Sachen macht, die vielleicht ein bisschen rätselhaft sind, die dann eher in die Kunst rübergehen, das interessiert mich nicht, das kann ich auch nicht.

00:46:15: Ich bin kein Künstler. Ich arbeite nur im Auftrag.

00:46:17: Ja, aber ich habe auf der Seite von der Firma edenspiekermann, zu der Sie ja nach wie vor gehören, wenn man die Seite aufruft im Netz, hatte ich als erstes so eine Schlagzeile vor mir. Da stand:

00:46:25: "Überdenken Sie Ihr Denken". Was soll das? Ist das auch nur so ein

00:46:30: Kreativen-Mätzchen im Prinzip? - Was wir mit Unternehmen machen, ist ja in die Zukunft zu helfen, ihre Kommunikation zu verbessern.

00:46:37: Und dann muss man sehr häufig, wie bei der BVG damals auch, einfach - Oder bei der Post - musste ich in die Organisation eingreifen, weil wenn die einfach fürchterliche Hierachien haben und der oben nicht weiß, was der unten macht,

00:46:47: dann können die auch nach außen nicht kommunizieren. Das ist ja nicht glaubhaft. Das sieht man ja an diesen großen Unternehmen, denen glaubt ja keiner was,

00:46:52: weil auch keiner weiß, was er da redet oder weil alles vorgefüttert wird von irgendwelchen Beratern. Ist ja inzwischen die große Mode.

00:46:58: Und wenn man glaubhaft kommunizieren will, dann muss man drüber nachdenken, was man kommuniziert und das erste, was wir mit solchen Leuten machen, ist "Was wollt ihr eigentlich? Wer seid ihr eigentlich wirklich?"

00:47:07: Und das geht dann, das ist dann schon eigentlich Unternehmensberatung, die am Ende ein visuelles Output hat, aber im Grunde genommen geht's nur darum, den Leuten klar zu machen,

00:47:14: wenn ihr Scheiße fabriziert, dann könnt ihr auch nur Scheiße kommunizieren mit Verlaub. Also es gibt Unternehmen, die würde ich auch gar nicht erst anfassen. Da weiß man, da kann man nichts retten, da macht man sich nur unbeliebt oder verdient bisschen Geld,

00:47:25: aber kriegt dann Krebs davon oder sowas, also dann lieber das Geld nicht annehmen. Wenn man ein gutes Produkt hat wie bei der BVG, der ideale Job, das braucht ja jeder. Das ist auch gut für uns und für die Umwelt und alles, dann kann man auch bisschen Spaß dabei haben, aber es geht immer noch darum, die Interessen der

00:47:39: Fahrgäste und der des Unternehmens darzustellen, nicht meine. Meine sind da völlig unwichtig. - Und jetzt haben Sie vorhin erzählt, dass Sie als kleiner Junge mit ihren Eltern neben der

00:47:47: neben der Druckerei gewohnt haben und es scheint so zu sein, als würden Sie jetzt (...) noch mal so einen biographischen Bogen für sich selbst schlagen, weil sie selber ihre Druckmaschinen da haben, mit denen Sie arbeiten. Warum begeistert Sie das so sehr? - Na, weil es...

00:48:01: also einmal ist es bei mir eine historische Sache. Ich hatte schon mal so ein Druckerei, die ist mir 77 abgebrannt in England,

00:48:07: nachdem ich es dahin geschafft habe, dass so ein bisschen die Biografie das andere ist, aber dass die Fähigkeiten mit diesen analogen Dingern umzugehen, uns ja verloren geht, also bis man nur noch auf Bildschirmen rumwischt,

00:48:18: weil das Motto ist ja "Wischen ist possible" sozusagen. Das ist schon auf Dauer gefährlich. Das sehe ich wirklich sehr pessimistisch. Also ich könnte ja jeden Morgen drei Leute platt walzen

00:48:27: mit dem Fahrrad oder platt fahren, die aus der U-Bahn kommen Stadtmitte (...), die mit Kopfhörern aufs Handy gucken und bei rot über die Ampel rennen.

00:48:34: Weil da gibt's gerade so einen Evolutionssprung nach rückwärts oder diese E-Rollerfahrer, die auch sich alle gegenseitig bald umbringen werden. Das Thema ist dann bald erledigt, weil die sterben alle und diese (...) sterben auch irgendwann, weil so kann man nicht überleben in dieser Welt.

00:48:47: Aber der Mangel des Haptischen, der Mangel des Verstehens von Zusammenhängen, den man in meinem Fall eben verstanden hat, als man dieses

00:48:55: Bleizeug auf dieser Maschine gesehen hat, wie wird eigentlich

00:48:58: Text verschriftet, schriftlich gemacht, sichtbar gemacht? Diese Einsichten, wenn die weggehen, wenn man nur noch mit Computer zu tun hat, wissen Sie was auf dem Ding passiert, auf Ihrem Handy? - Nein. - Ich auch nicht. EIn bisschen, ich könnte auch ein bisschen programmieren, aber

00:49:10: das ist da und wenn wir keine Einsicht haben in diesen Prozess, dann haben wir keine Einsicht was die Leute von uns wollen.

00:49:15: (...) Was sagt der Tagesspiegel? rerum cognoscere causas. Die Gründe für die

00:49:24: Wirklichkeit zu erkennen oder der Dinge, da ist schon wichtig, wenn man in die technischen Möglichkeiten Einblick hat und wenn man selber Sachen macht, gewinnt man Kenntnisse. Warum heißt das Wort begreifen?

00:49:36: Weil man es anfasst. - Weil man es anfasst. Und Kinder lernen ja auch so. Also wenn Sie nie im Leben einen Ball in der Hand gehabt haben, würden Sie auch keinen Ball erkennen und dann, wenn Sie eine Scheibe auf dem Bildschirm sehen, wissen wir dann mal, dass das ein Ball ist oder eine Kugel ist.

00:49:47: Eine Scheibe sieht anders aus, aber auf dem Bildschirm sieht man nur eine Scheibe. Da ist ja keine Kugel, kann ja nicht, ist ja flach.

00:49:53: Also wir lernen Sachen durch Anfassen und Begreifen und da das im Augenblick gerade verloren geht, bin ich wieder sehr daran interessiert, gerade die digitalen Leute, ich bin ja nicht anti-digital, im Gegenteil

00:50:01: aber die digitalen Leute wieder dahin zu bringen, mal was anzufassen, auch langsam. Wenn Sie zum Beispiel bei uns in die Werkstatt kommen, da gibt's nichts 170.000 Schriften und keine 17 Millionen Farben.

00:50:09: Da gibt's schwarz und rot, wenn man will von mir aus auch blau...macht aber mehr Arbeit

00:50:14: Und dann gibt es eben eine begrenzte Anzahl von Schriften und es gibt auch in jeder Schrift eine begrenzte Anzahl von Buchstaben. Wenn ich so große Holzbuchstaben habe, gibt es nur zwei A's und zwei B's. Da muss ich meinen Text ändern oder die Schrift ändern und diese

00:50:24: Beschränkungen empfinden die junge Leute als unglaublich erlösend. Mein Gott, ich muss nicht

00:50:30: so ein Menü haben auf dem Computer, dass bis in den Keller geht mit 150.000 Schriften. Will ich, brauche ich ja gar nicht (...)

00:50:37: Ich meine, früher gab's beim Bäcker zwei Sorten Brötchen und 2-3 Sorten

00:50:44: Brot und heute gibt es 140.000 Sorten Käse und Brot und das ist alles viel zu viel, das will kein Mensch haben. Gehen Sie mal in Amerika in den Supermarkt, da haben Sie ungefähr 20 Meter Milch,

00:50:54: das weiße Zeug in so Dosen. Wozu brauch ich da 20 Meter? Ich brauche weiße Milch von Kühen

00:50:59: mit 1,5 und 3,8 Prozent. - Sojamilch. - Ja, das auch noch, aber diese riesen Auswahl, das ermüdet die Leute. Das können sie nicht mehr aushalten und deswegen gibt's ja auch politisch so einfache Antworten. Ist ja auch so eine Strömung, ist denn alles zu viel. Gib mal eine einfache Lösung,

00:51:13: sag mal, gegen wen ich sein muss

00:51:15: oder wer mein Feindbild ist und diese Tendenz sehe ich eben sehr stark auch in unseren Berufen und deswegen, wenn die jungen Leute, ich sag immer junge Leute,

00:51:24: wenn die zu uns kommen, die Mittzwanziger, die ihr Leben am Computer verbracht haben und plötzlich in so ne Maschine reingreifen, sich die Finger schmutzig machen

00:51:31: und hinterher auch aufräumen müssen und es dauert alles unheimlich lange und es gibt wenig Möglichkeit, die sind beglückt, davon dass es eben wenig...das ist wie eigenes Brot backen.

00:51:38: Ich musste das in England machen, weil ich ja in England gelebt habe und das Brot kam ja...man kann es zwar essen, aber man kann davon nicht leben, weil das ist ja nur Dreck, also Kunststoff oder was auch immer das ist.

00:51:46: Man kann damit Fenster gut verkitten, aber sonst nichts. Dann habe ich angefangen, eigenes Brot zu backen, nicht weil ich es so romantisch fand, sondern weil mir das Zeug nicht geschmeckt hat.

00:51:53: Und das war dieses Erlebnis, das, vielleicht wenn Sie selber kochen,

00:51:56: Sie wissen ja, wenn man die Röhre aufmacht und das dampft einem entgegen, das hat mit Lebensmitteln nichts mehr zu tun. Das ist ein unglaubliches Erfolgserlebnis selber sich ein Brot zu backen.

00:52:04: Mache ich jetzt auch nicht mehr, aber es gibt ja gute Bäcker, aber so ist das auch mit in der Werkstatt was rumbasteln. Die Leute,

00:52:10: die den ganzen Tag riesige Seiten programmieren mit Millionen von Zeichen, machen da ein Plakat auf dem zwei Wörter stehen, das drucken sie sich sechs Mal ab

00:52:18: und sind happy. Gehen sowas von glücklich nach Hause wie nie zuvor, haben endlich mal was gemacht selber,

00:52:22: was sie selber gemacht haben aus wenig Auswahl. - Das war vielleicht eine Anregung für viele. Herr Spiekermann, ich danke Ihnen vielmals! Dankeschön - Ich habe zu danken.

00:52:28: Music.

00:52:34: Sie hörten den Podcast von ndion, der Online-Plattform des Rat für Formgebung.

00:52:40: Music.

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